Samstag, 04. Januar 2020

Hpa-An

Der 4. Januar ist ein Feiertag in Myanmar – Unabhängigkeitstag. Am 04. Januar 1948 wurde Burma nach einem jahrelangen Kampf gegen das Britische Empire unabhängig. Das feiern die Burmesen mit einem landesweiten Feiertag, an dem alle Märkte und Geschäfte, Fabriken und Büros geschlossen bleiben. Auch in Hpa-An ist alles zu, lediglich ein paar Frauen haben auf dem Markt ihre Stände aufgebaut, weil ihre Familien ohne den Verkauf ihrer Gemüse, Eier, Hühner oder des frischen Fischs an diesem Tag kein Einkommen hätten.

Wir möchten den Tag nutzen, um einen Ausflug in die weitere Umgebung zu machen und mieten uns eine kleine Yamaha-Enduro, da wir erwarten, dass große Teile unserer Route über unbefestigte Straßen und Wege führen wird – was dann auch tatsächlich so ist.

Im Internet habe ich einen Eintrag gefunden, der auf ein Dorf abseits jedweder Straße hinweist, wo ein Stamm der Volksgruppe der Karen lebt, die offenbar vor rund 100 Jahren aus Thailand hierher ausgewandert sind und seither ihre traditionelle Lebensart bewahrt haben. Das wollen wir uns ansehen. In Hpa-An erhalten wir nirgends genauere Angaben zu dem Dorf, aber bei Google Maps finden wir auf dem Satellitenbild das Talaku Karen Village und so versuchen wir, dorthin zu kommen. Einige Kilometer südöstlich von Hpa-An biegen wir also von der Hauptstraße ab, um wenig später in eine fürchterlich staubige Baustelle zu geraten, wo wir wieder mehrfach abbiegen, bis unsere Fahrt schließlich auf einem Trampelpfad endet, der durch den üppig belaubten Wald und über weitläufige Felder führt. Wir sind uns nun gar nicht mehr sicher, ob wir noch richtig sind und als wir ein paar Bauern treffen, fragen wir nach dem Ort Talaku. Man winkt uns weiter, immer dem Pfad nach. Und wirklich: Nach einigen Kilometern auf Trampelpfaden durch die Landschaft treffen wir auf das Urwalddorf der Karen. Die Hütten, deren Wände und Dächer mit großen Blättern gedeckt sind, stehen auf Stelzen, so dass der Wohnraum vor Tieren und während der Regenzeit vor Überschwemmung geschützt ist und in der heißen Jahreszeit von April bis Juni immer ein kühler Wind durch das Haus streichen kann. Eine Seite der Hütten ist offen und gewährt uns einen Blick in die „Wohnzimmer“.

Wir lassen das Motorrad am Dorfbrunnen stehen und gehen zu Fuß an den Hütten entlang, um zu sehen, wie man hier lebt. Die meisten Bewohner sind offenbar auf den Feldern und so treffen wir anfangs niemanden an. Erst am fünften oder sechsten Haus stoßen wir auf ein paar kleine Kinder und auf einige Frauen, die bei den Häusern geblieben sind. Wir versuchen uns mit Händen und Füßen zu verständigen und die Frauen zeigen uns, wie sie aus Baumwolle mit einfachsten Werkzeugen Fäden spinnen, die dann auf ebenso einfachen Webstühlen zu Stoffen für die traditionelle Kleidung verwoben werden. Sie zeigen uns ihre Arbeit ausführlich und posieren gerne für Fotos, während die Kinder eher scheu drum herum wuseln. Als wir schließlich zum Motorrad zurückkommen, begrüßen uns die Bewohnerinnen eines nahen Hauses, die offenbar gerade einen Tee und etwas zu Essen zubereiten. Die beiden Frauen laden uns ein, uns zu ihnen zu gesellen. Wieder erfolgt die Konversation mit Händen und Füßen und so erfahren wir, dass die jüngere der beiden 56 Jahre alt ist (Tinas Jahrgang) und ihre Mutter 77. Die Hausherrin zeigt uns noch, wie sie große getrocknete Blätter um dünne Bambusstangen wickelt und ansteckt und wie auf diese Weise natürliche „Dachziegel“ entstehen, mit denen die Dächer der Hütten alle paar Jahre neu gedeckt werden müssen. Wir lassen uns doch noch überreden, etwas zu Essen und einen Kaffee von ihr anzunehmen. Als eine Frucht von einem der Bäume direkt neben uns auf den Boden fällt, fragen wir, ob man diese Frucht essen kann. Sie reicht uns die grüne Frucht, die etwas größer als eine Walnuss ist und bedeutet uns, ruhig davon abzubeißen. Die Frucht schmeckt fürchterlich bitter und unsere Gesichter sehen offenbar auch so aus. Sie lacht und geht zu einem Kraut in der Nähe, pflückt ein paar Blätter und gibt mir zu verstehen, dass ich davon essen soll, die seien lecker. Ich nehme sie in den Mund, kaue kurz und spucke sie sofort wieder aus – das Kraut ist noch bitterer als die Frucht. Die Karen-Frau nimmt derweil Tina in den Arm und schüttet sich aus vor Lachen angesichts meines Gesichtsausdrucks. Eine so freundlichen – und witzigen – Empfang haben wir selten zuvor bei Einheimischen erlebt.

Wir verbringen mehr als zwei Stunden in dem Dorf, bevor wir uns nach einem überschwänglichen Abschied verabschieden und uns auf den Rückweg machen.

Unser Weg zurück zur Hauptstraße führt uns wieder auf unbefestigten Pfaden durch Wälder und Felder. Als ob das noch nicht genug Motorradabenteuer ist, kommen wir nach einigen Kilometer an eine schmale, geländerlose Fußgängerbrücke aus Beton, die ein sumpfiges Reisfeld überquert. Tina steigt vorsichtshalber ab und geht zu Fuß, aber ich versuche mein Glück und fahre mit dem Motorrad auf dem nicht mal einen Meter breiten Steg die rund 200 Meter zum anderen Ende – allzu ängstlich sollte man da nicht sein.

Wir besichtigen eine weitere der vielen Höhlen rund um Hpa-An: die Saddan-Höhle. Sie gilt als eine der schönsten Höhlen der Umgebung und weist viele riesige Tropfsteinformationen auf. Nach einem kurzen Aufstieg über einige Treppen betreten wir die gewaltige Felsenhalle, die – wie könnte es anders sein – von einem Stupa und zahlreichen Buddhas in allen möglichen Formen und Größen geprägt wird. An den Wänden ziehen sich Terracotta-Figuren entlang, die mit Blattgold belegt sind. Ihrem Bekanntheitsgrad entsprechend ist die Höhle gut besucht. Ein breiter, meist befestigter Weg führt tief in das Innere des Berges – und auf der anderen Seite wieder hinaus. Auf der Rückseite des Berges erreichen wir einen Bootsanlegeplatz, wo eine Unmenge an Kanus auf dem Trockenen liegen. In den feuchteren Monaten überzieht hier ein ausgedehnter See die Landschaft und man kann sogar kleine Ausflüge zu weiteren, kleineren Höhlen mit den Booten unternehmen. Jetzt, zur Trockenzeit, ist nur ein kleiner Tümpel übrig geblieben. Das Wasser hat jedoch im Lauf der Jahrtausende den gesamten Berg unterspült. Wir mieten eines der wenigen Boote, die derzeit noch in Betrieb sind, und lassen uns in einer kurzen, aber spektakulären Fahrt einmal unter dem Berg hindurch auf die andere Seite paddeln. Von hier geht es dann zu Fuß zurück zum Höhleneingang.

Auf dem Rückweg nach Hpa-An kommen wir am Yaetakon Teich, der direkt aus dem Berg von frischem Quellwasser gespeist wird. Während der obere Teil des Teichs naturbelassen ist und auch als Wallfahrtsort dient, bildet der untere Teil ein in Beton gefasstes Becken, in dem sich die Jugendlichen der Umgebung aber auch einige Touristen zum Baden einfinden. Das Wasser ist klar und erfrischend und lädt zum Baden ein. Doch leider haben wir keine Badesachen dabei und so bleibt uns nur, die Hosen hochzukrempeln und die Füße ins Wasser zu hängen.

Zurück in Hpa-An fragen wir den Vermieter nach einem Friseur, der eventuell trotz Feiertag offen hat. Er nennt uns einen Salon gleich um die Ecke und so lasse ich mir an diesem Abend noch einen höhst professionellen Haarschnitt verpassen.